Domenica, 05 Giugno 2016 - 15:23 Comunicato 1233

Wirtschaftswachstum durch Verfassungsreform?

Erklären, was Verfassungsreformen wie zum Beispiel die Abschaffung des italienischen Senats in seiner bisherigen Form mit Wirtschaftswachstum und Territorium zu tun haben, erscheint auf den ersten Blick gar nicht so einfach. Der Ministerin für Verfassungsreformen und Beziehungen zum Parlament der Regierung Renzi, Maria Elena Boschi, ist dies heute, am letzten Tag des diesjährigen Festivals der Wirtschaft in Trient, im Rahmen einer Diskussion mit zwei Verfassungsrechtlern in überzeugender Form gelungen. Das Fazit: Wenn die Reform – vermutlich am ersten Sonntag im kommenden Oktober – mit Referendum bestätigt wird, dann kann Italien in der Tat behaupten, etwas erreicht zu haben, das dem Land bessere Wachstumschancen gegeben werden.

Die Ministerin ging davon aus, dass beim perfekten Zweikammern-System des italienischen Parlaments jedes Gesetz von jeder der beiden Kammern – Abgeordnetenhaus und Senat – in absolut gleicher Fassung genehmigt werden muss, ehe es in Kraft treten kann. In der Praxis hat dieses Hin und Her zwischen den beiden Häusern (wie es sie außer in Italien nur noch in zwei weiteren der 46 Mitgliedsstaaten des Europarats gibt) zur Folge, dass ein Gesetz mitunter mehrere Jahre, oft mehr als fünf, also sogar über eine fünfjährige Legislaturperiode hinausreichend, braucht, um wirksam werden zu können. Was das für die notwendige Regelung einer Materie bedeutet, ist leicht verständlich: unglaubliche Verzögerungen, welche wirtschaftliche Initiativen lähmen, Investitionen, vor allem, solche aus dem Ausland, behindern oder verunmöglichen, mit allen sich daraus ergebenden Nachteilen für eine Volkswirtschaft.

 Nun, da mit der Verfassungsreform der Senat in seiner bisherigen Funktion wegfällt, entscheidet die eine verbleibende Kammer, das Abgeordnetenhaus, allein und Gesetze können in kurzer Zeit verabschiedet werden und in Kraft treten. Das wird auch den Gang der Bürokratie wesentlich beschleunigen. Aber was geschieht mit dem Senat? Er wird zu einer so genannten Kammer der Regionen, also das direkte Vertretungsorgan der Regionen in Rom. Das wiederum macht es leichter, mit der Verfassungsreform den Regionen mit Normalstatut einige ihrer 2001 erhaltenen Kompetenzen wieder wegzunehmen und dem Parlament zurück zu geben. Gegen diese Rücknahme hat es viele Proteste, aber auch einige Zustimmung gegeben, weil die Regionen mit Normalstatut ihre „föderalistische Aufwertung“ seit 2001 in keiner Weise gerechtfertigt, sondern durch schlechte Verwaltung, Skandale, Prasserei (90 Milliarden Euro Verschuldung) selbst zunichte gemacht haben. Doch mit der Einrichtung des Senats der Regionen kann ein Teil dieser Rücknahme vermutlich aufgewogen werden, indem der Senat im direkten Kontakt mit der Regierung die „Entföderalisierung“ etwas entschärfen kann.

 Die Verfassungsreform bringt laut Ministerin Italien mehr Stabilität. Sie garantiert durch das neue Wahlgesetz („Italicum“), das als Teil der Reform genehmigt wurde und am 1. Juli 2016 in Kraft  tritt, der Regierung eine sichere Mehrheit und sollte das Land vor kurzfristigen Regierungswechseln bewahren (bisher hatte Italien seit Einführung der Demokratie in 68 Jahren nicht weniger als 63 Regierungen).

 

Allerdings, wenn die Gegner der Verfassungsreform das Referendum im Oktober gewinnen, dann wird Italien ins Chaos stürzen und seine bisher ohnehin etwas labile Stabilität auf längere Zeit verlieren, erklärte der Verfassungsrechtler Roberto D’Alimonte, und die Ministerin meinte dazu, ein instabiles Italien liege alles eher als im Interesse Europas.



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