
Nach Ansicht von Estevão sei im Spannungsfeld zwischen Angebotsschock und Erholung der Nachfrage eine positive Reaktion der Wirtschaft zu beobachten. In Europa sei die Arbeitslosenquote gesunken. Allerdings mussten wir zwei aufeinander folgende Schocks bewältigen: die nun hoffentlich nachlassende Coronapandemie und den Krieg in der Ukraine. Verschiedene Länder leiden unter Erdöl- und Nahrungsmittelknappheit sowie unter den Folgen der US-Währungspolitik. Das globale Gleichgewicht werde sich weltweit ändern, die Welt werde sich mit zwei verschiedenen Geschwindigkeiten bewegen. Europa sei in diesem Sinne anfälliger, aber man rechne nicht mit einer Rezession.
Tria stimmte grundsätzlich zu, warnte jedoch vor einer Verschlechterung der Wirtschaftslage. Wenn die führenden Länder falsche Entscheidungen in ihrer Wirtschafts- und Währungspolitik treffen, könnte eine Stagnation eintreten, welche die bestehenden Probleme zuspitzen würde. Es bräuchten geeignete Lösungen, um die expansive Geldpolitik zu beenden, die enorme Verschuldung der Unternehmen und der Regierungen zu bewältigen und die globalen Produktionsketten wiederherzustellen. Gegen das konkrete Stagnationsrisiko sei eine Koordinierung unter den Währungsbehörden der wichtigsten Länder wie während der Krise in den Jahren 2007-2008 erforderlich. Die Herausforderung bestehe darin, Liquidität in die Produktion zuzuführen, ohne eine Finanzkrise hervorzurufen und die Inflationsrate zu steigern
Auf die Frage der Moderatorin, wie die Lage der Schwellenländer in dieser Konjunkturphase aussehe, antwortete Estevão: „Für rohstoffabhängige Länder wie Tschad, Chile und Nigeria sieht die Lage nicht so negativ aus, anders als z. B. im Fall der Karibik. Hochverschuldete Länder wie Libanon und Sri Lanka befinden sich in Schwierigkeiten, Brasilien hingegen nicht“.
Die unterschiedliche Geldpolitik der EZB und der US-Federal Reserve, welche die Leitzinsen zur Bekämpfung der Inflation angehoben hat, führe laut Tria weltweit zum Anstieg des amerikanischen Dollars und somit auch der Inflationsrate in Ländern, die ˗ wie die EU-Länder ˗ Rohstoffe und Energie in Dollar importieren. „Wer wird z. B. in Italien die Kosten dieser Preiserhöhungen tragen? Die EZB hat sich richtigerweise Zeit genommen. Nun erwarte ich aber, dass die expansive Geldpolitik vorsichtig beendet wird und die Inflationskosten abgefedert werden. Darüber sind sich allerdings die EU-Länder nicht einig“.
Abschließend wurden die unterschiedlichen währungspolitischen Reaktionen auf globaler Ebene angesprochen. Laut Estevão werden in den verschiedenen Ländern verschiedene Entwicklungen zu beobachten sein, laut Tria könnten die unterschiedlichen Ansatzweisen Ungewissheit hervorrufen und die Frage sei schließlich, wohin das Kapital fließt”.